In die Endauswahl um den diesjährigen Lübecker Nachbarschaftspreis kamen zwei Projekte aus NRW, ein Projekt aus Sachsen-Anhalt, zwei Projekte aus Baden-Württemberg und ein Projekt aus Schleswig-Holstein. Den ersten Preis, dotiert mit 4.000 Euro, vergab die Jury an die Kulturwerkstatt Ins Blaue aus Remscheid. Der Verein für kulturelle Bewegung im Stadtteil Honsberg, über den der Waterbölles bereits mehrfach berichtete, bemüht sich mit kreativen Kunstprojekten darum, das von Abwanderung bedrohte Stadtviertel zu beleben und bezieht dabei erfolgreich die Bewohner/innen des Quartiers mit ein. Annika Wirth von Ins Blaue: Wir freuen uns über die damit verbundene Anerkennung unserer Arbeit und sind sehr glücklich, den Preis nach Remscheid zu holen!
ePunkt e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der soziales und bürgerschaftliches Engagement fördert. Das Herzstück ist die Freiwilligenagentur, eine professionell geführte Anlaufstelle zur Vermittlung, Begleitung und Qualifizierung von Ehrenamt in Lübeck. Die passgenaue Vermittlung in Ehrenämter ist die Kernkompetenz der Freiwilligenagentur. Im Audienzsaal des Lübecker Rathauses übergaben Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Britta Ernst und der ePunkt-Vorsitzende Dr. Peter Delius Preis. Nachfolgend die Laudatio von Dr. Peter Delius:
Nachbarschaft braucht Veränderung in kleinen Dosen, aber manchmal braucht es auch mehr, ein Fanal, einen Skandal, etwas, wo alle aufmerken, dass hier etwas grundsätzlich die Richtung wechseln muss. Wenn wir ehrlich sind, ist das an vielen Stellen der Republik notwendig, die sich zunehmend in Gewinnerstädte und Verliererregionen entmischt. Die untoten Kleinstädte in Mecklenburg und im Saarland oder die ausgebluteten Industrieregionen im Osten und Westen: ihnen fehlt vielfach die Kraft, sich gegen den Sog der Entvölkerung zu wehren. Wo Nachbarschaften nur noch Erinnerungen an Nachbarschaften sind und oft nur die zurückbleiben, denen die Kraft für die Flucht fehlt. Hier braucht es ein kräftiges Zeichen, das man nicht übersehen kann. Und wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der Honsberg dazu in der Lage ist. Honsberg, ein abgehängter, heruntergekommener Stadtteil von Remscheid, wo man bei Immoscout 24 Dutzende von äußerst günstigen Wohnungen findet, wo sich der Fußballclub 1. Spielvereinigung 07 Remscheid zuletzt in den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts über erfolgreiche Tabellenplätze freuen konnte, wie es in der Chronik heißt. Hier was losmachen? Da muss man schon ziemlich verrückt sein. Aber es geht, Sie werden es gleich sehen. Die Kulturwerkstatt Ins Blaue - was für ein abgedrehter Name für ein graues Quartier!- nahm mit seinen Kunstprojekten zielsicher das auf, was das Quartier hat: Den Charme des Verfalls. Die Macher des kleinen Vereins begannen aus also Stroh Gold zu spinnen: Aus Graffiti werden Kunst-Graffiti, aus der Abgehängtheit machen sie eine Weltbaustelle, sie gründen ein Ministerium für harte Kultur und eine Kunstschule Heimat, den sich leerenden Häusern malten sie lange Nasen auf. Sie gründeten Ateliers in leeren Häusern und holten die internationale Kunstwelt auf den Honsberg.
Was sie dort anrichteten, sieht an manchen Stellen aus wie eine Jetzt-lass-ichmal-alles-raus-Action, an anderen wie eine über die Ufer getretene Facebook-Party. Aber dies ist alles kalkulierte Wirkung. Das Vielvölkerviertel findet sich plötzlich ein bisschen besonders, vielleicht auch ein bisschen verrückt, vor allem aber: Es findet sich. Es machen natürlich nicht alle mit, aber es ist offen für alle und alle müssen sich dazu eine Meinung bilden, zum Honsberg, zu ihrem Viertel. Denn übersehen, nein, übersehen kann man das nicht, was die Künstler mit den Häusern angerichtet haben.
Und wenn da von außen alle möglichen wichtigen Leute kommen, zu uns auf den Honsberg, wenn große internationale Kunstfestivals in den Arbeiterhäuschen gefeiert werden, dann ist das der Beginn einer Revitalisierung, ein Imagewechsel. Eine Nachbarschaft, die sich neu erfindet. Wir fanden, dass diese Energieleistung, dieser Mut, etwas völlig Aussichtsloses anzufangen und zäh weiterzuführen über jetzt inzwischen vier Jahre, mit viel Ehrenamtlichkeit, mit viel Netzwerkarbeit, mit Einbeziehung der Wohnungsbaugesellschaften, wir fanden, dass das einfach der Hammer ist und den ersten Preis beim diesjährigen Wettbewerb hier in Lübeck verdient hat.
Der Waterbölles freut sich mit den Akteuren von Ins Blaue und sagt Herzlichen Glückwunsch!