Aleviten fühlten sich bedroht und riefen die Polizei, berichtete der Waterbölles am 18. April. Vor der Alevitischen Gemeinde am Zentralpunkt hatten sich am Sonntagabend rund 300 Personen versammelt, um den Sieg Erdogans beim Referendum in der Türkei zu feiern. Die Angehörigen der alevitischen Gemeinde, die dem Referendum kritisch gegenüber gestanden hatten, seien von den türkisch-stämmigen Jugendlichen angepöbelt, bedroht und eingeschüchtert worden, hieß es damals. Ein Verhalten, das tagsdarauf vier türkisch-islamischen Kulturvereine aus Remscheid kritisierten. Zitat: Wir stehen für die Grundrechte und die Meinungsfreiheit und distanzieren uns von jeglichen Formen von Extremismus. Der letzte Satz der Presseerklärung löste allerdings in der Öffentlichkeit Irritationen aus. Da appellierten die Moscheevereine an die Politik, Gesellschaft und Medien, in der Zukunft verantwortungsvoller zu handeln, um das friedliche Zusammenleben zu bewahren.
Auch der Waterbölles war damals irritiert und fragte: Hätten die Medien über die Kundgebung von Erdogan-Anhängern vor den Toren der Alevitischen Gemeinde nicht berichten sollen, um das friedliche Zusammenleben nicht zu stören? Wer war denn hier der Störenfried?!! Und irritiert war auch Volker Leitzbach (SPD), Mitglied des städtischen Integrationsrates. Er hielt die Presseerklärung der vier Vereine damals wegen eben dieses Appells an Politik, Gesellschaft und Medien für halbherzig.
Jede Medaille hat zwei Seiten. Das stellte sich in diesem speziellen Fall leider erst gestern heraus. Die Reaktion von Waterbölles und Leitzbach (später auch die von RGA-Chefredakteur Axel Richter) hatte wiederum die türkisch-islamischen Vereine irritiert. Deren Vertreter hatten geglaubt, alles richtig gemacht zu haben. Sie hatten den Satz als versöhnenden Abschluss verstanden. Motto: Gegen solche Auswüchse muss die Gesellschaft insgesamt vorgehen.
Vielleicht wäre es zu keinerlei Irritationen gekommen, hätten die vier Vereine sich in dem strittigen Satz gleich ausdrücklich selbst mit in die Pflicht genommen. Schließlich waren sie damals unmittelbar gefordert, handelte es sich doch um Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund (welchen Pass oder Personalausweis jeder Einzelne von ihnen besitzt, spielt dabei übrigens keine Rolle).
Es bestand also Klärungsbedarf. Darüber sprach Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz am 25. April mit Vorstandsmitgliedern der vier Vereine. Er äußerte die eindringliche Bitte, in ihrem Vereinen auf junge Leute Einfluss zu nehmen - und das falsche, respektlose Verhalten vom 18. April auch in der Freitagspredigt anzusprechen. Wie sich herausstellte, war das bereits geschehen. Die Vereine seien entsetzt gewesen über die nächtliche Aktion vor dem Haus der alevitischen Gemeinde. Noch am gleichen Abend sei dort angerufen worden, um sich solidarisch zu zeigen.
Gestern wurde das im Rathaus alles noch einmal aufgearbeitet. An einer Art Runden Tisch im Sitzungsraum 221. Den ATIB -Türkischer Kulturverein Remscheid e.V., Industriestraße, vertraten dabei Tevfik Baylan und Oguz Ünal und den Türkischen Kultur- und Sportverein, Freiheitstraße, Ramazan Temiz und Cengiz Özdemir. Für die Islamische Gemeinschaft Milli Görü e.V. (IGMG) war Altundag Nasif gekommen und für die DITIB Remscheid Hacisalihoglu Ömer. Mit dabei neben Vertretern der lokalen Presse auch Erden Ankay Nachtwein, die Vorsitzende des städtischen Integrationsrates. Sie alle kennen inzwischen das im Internet kursierende Video von den pöbelnden Jugendlichen. Wenn wir darauf Jugendliche erkannt haben, haben wir mit den Eltern gesprochen, berichtete Tevfik Baylan. Als eine erste Reaktion auf den Vorfall habe man eine WhatsApp-Gruppe gegründet, der auch der Oberbürgermeister angehöre. Und man habe die Handy-Nummern ausgetauscht.
Gestern folgten die Telefonnummern der Pressevertreter. Denn die vier Vereine haben sich eine aktivere Öffentlichkeitsarbeit vorgenommen, wollen mehr als bisher auch Deutsche zu ihren Veranstaltungen einladen. Tevfik Baylan: In den meisten ist Deutsch die Umgangssprache! Im gerade begonnenen Ramadan sind Einladungen an Deutsche zum so genannten Fastenbrechen, dem gemeinsamen Abendessen nach Sonnenuntergang, schon seit einigen Jahren eine gute Gepflogenheit.
Einhellig betonten die Vertreter der Vereine gestern, dass bei ihren Treffen die türkische Politik und Erdogan kein Thema seien. Das sei gerade nicht der Fall. Denn das würde nur Zwist in die Vereine bringen! Im Türkischen Kultur- und Sportverein an der Freiheitstraße seien beispielsweise vor dem Referendum Transparente mit Ja oder Nein ausdrücklich verboten gewesen. Die gestrige Botschaft der sechs Vereinsvertreter an die Presseleute mit der Bitte, sie weiterzutragen: Wir wollen alle friedlich in Remscheid leben!