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Genossenschaft für Nachhaltigkeit, Wald in Bürgerhand

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von Annette Lübbers

Legenden, Märchen und Mythen - nirgendwo sonst auf der Welt wird die Seele eines Volkes so sehr mit dem Wald verortet wie in Deutschland. So lässt sich wohl auch erklären, dass der Hambacher Forst und seine geplante Abholzung für den Braunkohletagebau Naturschätzer und Baumfreude auf die Barrikaden beziehungsweise in die Baumhäuser trieb.

Gefährdet sind Eichen, Fichten und Buchen aber auch, wenn sie sich in privatem Besitz befinden. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Waldgrundstücke durch Erbfolgeregelungen immer kleiner, eine Bewirtschaftung der kleinen Parzellen lohnt sich heute kaum noch. Viele private Besitzer verkaufen deshalb ihr grünes Erbe an Inves­toren. Deren Ziel: Geld verdienen. Das geht am besten mit diesem Rezept: kaufen, kahlschlagen, abtransportieren, weiterziehen! Solch „marodierende Holzhändler" hat Markus Wolff in einer seiner Nachbargemeinden bei der Arbeit erlebt. Möglich ist das nur, weil in Nordrhein-Westfalen laut Landesforstgesetz bis zu zwei Hektar zusammenhängender Waldfläche - sofern es sich nicht um ein Naturschutzgebiet handelt - ohne jede Geneh­migung kahlgeschlagen werden dürfen. Und schon ein schmaler Waldriegel genügt, um weitere zwei Hektar benachbarten Waldes abholzen zu dürfen.

Gefallen hat dem Städtischen Forstdirektor in Remscheid diese Entwicklung so wenig wie den Bürgern der Nachbargemeinde. Markus Wolff wollte einen neuen Ansatz in der „Wald-Politik“. Und den hat er nun: In Remscheid hat im J hat im Jahr 2013 die erste Waldgenossenschaft Deutschlands ihre Arbeit aufgenommen.

Dafür kann jede natürliche oder juristische Person Mitglied der Genossenschaft werden. Ab 500 Euro Einlage ist eine Mitgliedschaft möglich, unabhängig davon, ob man selbst Wald einbringt oder nicht, Die Genossenschaft kauft mit den Einlagen Waldanteile oder tauscht Waldflächen gegen Waldgenossenschaftsanteile. Ziel des Projektes ist es, es, mit privatem Kapital den Ankauf privater oder kommunaler Waldflächen verkaufswilliger Waldeigentümer zu betreiben. Und diesen Wald als echten Bürgerwald multifunktional und möglichst naturnah zu bewirtschaften und für alle erlebbar zu machen, Aktuell hat die Genossenschaft 207 Mitglieder und ist Besitzer von 68 Hektar Wald. Mehr als in der ursprünglichen Planung für das Jahr 2018 vorgesehen war. Am Ende der Wegstrecke ist die Genossenschaft aber noch lange nicht. Markus Wolff: „In etwa 3O Jahren soll der Genossenschaftswald auch als solcher erkennbar sein." Aktuell liegen die genossenschaftseigenen Parzellen nämlich noch weit voneinander entfernt. Nach der extremen Trockenheit im Jahr 2018 ist die Zahl der verkaufswilligen Waldbesitzer aber noch ein­mal stark gestiegen! Gute Voraussetzungen für eine -weitere Expansion.

Nicht nur die ehemaligen Waldbesitzer, auch der Wald selbst profitiert von der Arbeit der Genossenschaft! Markus "Wolff: „Unser Wald wird selbstverständlich naturnah bewirtschaftet. Und wir schaffen die Voraussetzungen für einen ökologischen Umbau des Waldes, der dem Klimawandel Rechnung trägt. Wir stellen sicher, dass diese Waldflächen eine diesen Zielen untergeordnet Waldpflege erfahren. Das gilt natürlich auch für den Stadtwald und den restlichen Wald, der im Forstverband betreut wird. Die Regeln für die Pflege des Waldes haben wir in der Satzung festgelegt, denn natürlich können wir nicht mit jedem Genossen jeden zu pflanzenden. Baum und jeden zu fällenden Baum diskutieren."

Bis zu zehn Prozent der Wälder bleiben dabei ungenutzt. In diesen Gebieten sollen sich Bäume, Tierpopulationen und Pflanzen möglichst ungestört entwickeln. Rücksicht auf emotionale Befindlichkeiten der ehemaligen Besitzer nehmen die Waldgenossen dennoch gerne. Jutta Velte, Ratsfrau und Aufsichtsratsmitglied der Genossenschaft, erinnert sich an eine besonders schöne Geschichte; „Eine Frau. die ihr Leben dem Aufbau von Genossenschaften in Ostafrika gewidmet hatte, brachte der Genossenschaft besonders viel und besonders schönen alten Wald ein. Sie selbst wohnte mittlerweile in Freiburg und konnte sich nicht selbst kümmern." Volker Pleiß, Bereichsdirektor der Stadtsparkasse Remscheid und Finanzchef der Genossenschaft, nickt: „Sie erinnerte sich noch daran, wie sie damals mit ihrem Großvater zusammen zum Baumpflanzen ging. Natürlich hatte sie eine emotionale Bindung zu ihrem Wald und wollte schon deshalb nicht den schnellen Dollar, sondern eine sinnvolle Nutzung ihres Erbes." Den Genossen machte sie zur Auflage, dass ein besonderer Baum als Nistplatz für Greifvögel auf jeden Fall erhalten bleiben solle. Diese Eiche trägt nun seit März 2018 eine Biotop-Baum-Plakette. Eine Nutzung dieses Baumes ist nun für immer ausgeschlossen.

Vorstand, Aufsichtsrat und Genossenschaftsversammlung leisten viele Stunden ehrenamtliche Arbeit für den Bürgerwald. Die Genossenschaft beschäftigt derzeit nicht einen bezahlten Mitarbeiter. Zu tun gibt es für die engagierten Genossen genug: 2013 war die Genossenschaft Mitveranstalter und Gastgeber einer forstwissenschaftlichen Fachtagung zum Thema „Gemeinschaftswälder". Sie stößt öffentliche Diskussionen an — etwa zum Thema „Wieviel ist uns der Wald wert?" Sie veranstaltet Waldpflanzaktionen mit Schulklassen, gibt Studien in Auftrag und lädt Genossen und Interessierte zu von Fachleuten begleiteten Waldbegehungen ein. Jutta Velte erklärt: „Heutzutage gehören Waldbesitzer eher zur älteren Generation. Wir hoffen mit Aktionen wie diesen, dauerhaft auch jüngere Menschen für den Wald und seine Zukunft zu sensibilisieren."

Wirtschaftlich arbeiten kann die Genossenschaft nur, weil die Triebfeder eines typischen Wald-Genossen eher eine ideelle als eine renditeorientierte ist. Volker Pleiß erläutert: „Unser Ziel ist es schon, in der Genossenschaft ein bis zwei Prozent Rendite zu erwirtschaften." Viel ist das nicht, aber die Ergebnisse der letzten Mitgliederbefragung zeigen sehr deutlich, dass viele Genossen auch gar nicht an finanziellem Gewinn interessiert sind. Immerhin 43 Prozent der Genossen gaben an, keine Dividende zu erwarten. Und weniger als zehn Prozent erwarteten eine Dividende von zwei bis vier Prozent.

Die städtischen Forste in Remscheid sind bis heute erst einmal außen vor geblieben. Jutta Velte lacht: „Die Schwarzen im Stadtrat wollen nicht so gerne Genossen sein." Volker Pleiß hat für diese Haltung grundsätzlich sogar Verständnis: „Nach Kapitalgesichtspunkten ist das Genosse-Sein tatsächlich eher schwierig. Laut Genossenschaftsrecht hat ja jedes Mitglied - unabhängig von der Höhe seiner Kapitaleinlage - nur eine Stimme. Ein Genosse mit einem Genossenschaftsanteil von 500 Euro hat also genauso viel Mitspracherecht wie ein Genosse, der 50.000 Euro eingebracht hat. Ein kapitalgetriebener Investor überlegt sich deshalb sehr genau, ob er bei einer gemeinnützigen Genossenschaft einsteigen will."(Nachdruck aus der Zeitschrift KOMMUNAL Nr. 2/2019, dem Mitgliedermagazin des deutschen Städte- und Gemeindebundes, mit freundlicher Genehmigung der Autorin Annette Lübbers aus Balve im Märkischen Kreis)


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